Das Institut

Theater, Film und elektronische Medien sind die ökonomisch, politisch und ästhetisch richtungsweisenden Medien des 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts. Als Wissenschaft, die sich mit szenischen Vorgängen und inszenierter Wahrnehmung befasst, untersucht die Theater-, Film- und Medienwissenschaft diese Phänomene in den jeweiligen Medien bzw. Künsten – in historischer Perspektive und unter dem Aspekt ihrer Aktualität. In ihrem Brennpunkt stehen die fiktionalen und szenischen Formen vom antiken Theater bis zum Hollywood-Kino und weiter zur globalen Szene virtueller Welten.

Das Wiener Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft, das einzige in Österreich, ist das größte derartige Universitätsinstitut im deutschsprachigen Raum. In produktiver Distanz zu gängiger Theater- und Medienpraxis ist das Institut vor allem Ort theoretischer Auseinandersetzung – aber auch Schnittstelle von Wissenschaftspraxis und künstlerischer Praxis.

Der Forschungsgegenstand der Theater-, Film- und Medienwissenschaft ist die mehr als zweitausendjährige Geschichte szenischer Verfahren in der Perspektive ihrer jeweiligen Aktualität: Nur eine forschungsorientierte Ausbildung zu kultureller Kompetenz erlaubt ein souveränes Agieren in der postindustriellen Wirklichkeitskonstruktion. Ihre Analyse ist vordringlichste Aufgabe einer für die Gesellschaft nützlichen Kulturwissenschaft.

Institutsgeschichte

Zur NS-Geschichte des Instituts

Birgit Peter

Wissenschaftliches Interesse an Theater artikuliert sich verstärkt um 1900 an verschiedenen europäischen Schauplätzen, im deutschsprachigen Raum arbeiten vor allem Gelehrte literaturwissenschaftlicher Disziplinen an der Etablierung eines neuen akademischen Faches, der Theaterwissenschaft.

Deutschnationale Literaturwissenschaftler wie der spätere Institutsgründer Heinz Kindermann entdeckten Theater bereits in den frühen 1920er Jahren als Forschungsfeld, um eine genuin germanische Kultur zu erfinden und ihre Vorherrschaft vor allen anderen Kulturen zu behaupten. Die Gründung des Wiener theaterwissenschaftlichen Instituts 1943 fand dann auch im Kontext nationalsozialistischer Wissenschaftspolitik statt. Wien erschien als besonders geeigneter Standort, da Theater in dieser Stadt historisch gesehen einen bemerkenswert hohen gesellschaftlichen Stellenwert innehatte. Für den 1940 für Wien bestellten Reichstatthalter Baldur von Schirach war eine universitäre Verankerung des neuen Fachs Theaterwissenschaft aus eben jenem Grund von großem Interesse, Unterstützung kam auch vom Reicherziehungsminister Bernhard Rust. Die Universität Wien wehrte sich gegen den favorisierten Heinz Kindermann, nicht aus Ablehnung des Nationalsozialismus, sondern weil sie sich in ihrer Autonomie eingeschränkt sah und andere Kandidaten präferierte.

Als Ordinarius und Direktor wurde der zuvor in Münster lehrende populäre NS-Literaturwissenschaftler Heinz Kindermann berufen. Er definierte Theaterwissenschaft als Lebenswissenschaft, d.h. er rekurrierte auf biologistische Grundlagen und beschäftigte sich mit dem Schreiben einer „rassisch und volkhaft bedingten Theaterge­schichte“. Diese Theaterwissenschaft wollte den Führungsanspruch deutscher Kultur als europäische Leitkultur legitimieren und praktizieren.  Im Mai 1945 wurde er zwar seiner Professur enthoben und als Direktor abgesetzt, doch 1954 wiedereingesetzt. Er wurde mehrheitlich als „einer der profundesten Kenner der europäischen Theaterwissenschaft“ gewürdigt, seine NS-ideologischen Grundlagen wurden ausgeklammert. Margret Dietrich, Schülerin Kindermanns, 1952 mit einer dem NS-anthropologischen Menschenbild geschuldeten Arbeit habilitiert, folgte ihm 1966 als Ordinaria und Institutsleiterin. Distanzierung zur Tätigkeit für den NS-Wissenschaftsbetrieb und selbstkritische Reflexion der entwickelten Kategorien und Deutungsmuster erfolgte weder in der Forschung noch in der Lehre von Kindermann oder Dietrich. Ihre Geschichte im Nationalsozialismus lebte als Tabu fort und prägte so maßgeblich mehrere Generationen von Studierenden. Bereits bei der Wiedereinsetzung Kindermanns 1954 artikulierte sich studentischer Widerstand, der jedoch immer als Meinung einer verschwindenden Minderheit von sich gewiesen wurde. Auch die offene Konfrontation und nachhaltige Empörung, als 1981 die drei Studierenden Peter Roessler, Monika Meier und Gerhard Scheit den Band Theaterwissenschaft und Faschismus veröffentlichten, verdeutlichen eine gesellschaftliche Situation, die mit dem Begriff „postnazistisch“ am besten beschrieben werden kann. 2008 versuchten Studierende und Lehrende gemeinsam über das Ausstellungsprojekt „Wissenschaft nach der Mode“? die NS-Gründung umfassend zu dokumentieren, um Basis für weitere fachhistorische Auseinandersetzungen zu bieten bzw. diese anzuregen. Im Zuge dieses Projekts tauchten Unterlagen zur Etablierung von Filmwissenschaft ebenfalls im Kontext NS-wissenschaftspolitischer Überlegungen auf, die durch ein Forschungsprojekt bearbeitet wurden. Link zum Projekt

Diplomarbeiten, Forschungs- und Lehrschwerpunkte um die NS-Geschichte des Faches sollen nun bewusster Teil einer offensiven Arbeit an lange vernachlässigter bzw. tabuisierter fachhistorischer wie wissenschaftspolitischer Auseinandersetzung werden.

 

Weiterführende Links: 

Völlig fraglich. Vergessene Geschichte. Eine Ausstellung des Instituts für Theater-, Film- und Medienwissenschaft der Universität Wien zur nationalsozialistischen Gründungsgeschichte

Sammlungsideologie und Geschichtsschreibung. Forschungsgeleitete Digitalisierung theaterhistorischer Materialien des „Zentralinstituts für Theaterwissenschaft" 1943–45

tfm Archiv und Sammlungen

 

 

Literaturauswahl:

Meier, Monika/Roessler, Peter/Scheit, Gerhard (Hg.): Theaterwissenschaft und Faschismus. Wien [u.a.]: Antifaschistische Arbeitsgruppe, P. Roessler, 1981.

Edith Saurer: Institutsneugründungen 1938-1945. In: Gernot Heiß, Siegfried Mattl, Sebastian Meissl, Edith Saurer, Karl Stuhlpfarrer (Hg.): Willfährige Wissenschaft. Die Universität Wien 1938–1945. Wien: Verl. für Gesellschaftskritik 1989, S. 303–328.

Markus Schraml: Kontinuität oder Brüche. Versuch einer wissenschaftsgeschichtlichen Positionsbestimmung anhand der Entwicklung Heinz Kindermanns von der Literatur- zur Theaterwissenschaft. Wien: Univ. Wien: Phil. Dipl. 1995.

Mechthild Kirsch: Heinz Kindermann – ein Wiener Germanist und Theaterwissenschaftler. In: Wilfried Barner und Christoph König (Hg.): Zeitenwechsel. Germanistische Literaturwissenschaft vor und nach 1945. Frankfurt/Main: Fischer 1996, S.47–59.

Evelyn Deutsch-Schreiner: Die Theaterwissenschaft unter Heinz Kindermann und das „Theaterland Österreich“. In: Dies.: Theater im „Wiederaufbau“. Zur Kulturpolitik im  österreichischem Parteien- und Verbändestaat. Wien: Sonderzahl 2001, S. 284–314.

Hilde Haider-Pregler: Die frühen Jahre der Theaterwissenschaft an der Universität Wien. In: Margarete Grandner, Gernot Heiss, Oliver Rathkolb (Hg.): Zukunft mit Altlasten. Die Universität Wien 1945-1955. Innsbruck, Wien: Studien Verl. 2005, S.137–155.

Wolfram Niess: Die Gründung des Instituts für Theaterwissenschaft an der Universität Wien im Nationalsozialismus. Wien: Univ. Wien, Phil. Dipl. 2007.

Birgit Peter/Martina Payr (Hg.): “Wissenschaft nach der Mode”? Die Gründung des Zentralinstituts für Theaterwissenschaft an der Universität Wien 1943. Wien: Lit 2008.

Klaus Illmayer: Reetablierung des Faches Theaterwissenschaft im postnazistischen Österreich.Wien: Univ. Wien, Phil. Dipl. 2009.

Christian Cargnelli: „Das Seiende und Ewige selbst“. Die Anfänge der Filmwissenschaft in Wien am (Zentral)Institut für Theaterwissenschaft. In: Stefan Hulfeld/Birgit Peter (Hg.). Theater/Wissenschaft im 20. Jahrhundert. Beiträge zur Fachgeschichte, Maske und Kothurn. Internationale Beiträge zur Theater-, Film- und Medienwissenschaft.  55. Jg., H1–2, 2009, S. 213–226.

Birgit Peter: Theaterwissenschaft als Lebenswissenschaft. Die Begründung der Wiener Theaterwissenschaft im Dienst nationalsozialistischer Ideologieproduktion. In: Stefan Hulfeld/Birgit Peter (Hg.). Theater/Wissenschaft im 20. Jahrhundert. Beiträge zur Fachgeschichte, Maske und Kothurn. Internationale Beiträge zur Theater-, Film- und Medienwissenschaft.  55. Jg., H1–2, 2009, S.193–212.